Der zusätzliche Bedarf an Wohnraum, die Einhaltung der Klimaziele sowie die dringend notwendige Sanierung der teilweise maroden Infrastruktur stellt nicht nur die Politik, sondern auch die Bauwirtschaft vor enorme Herausforderungen. Es stellt sich die Frage, ob in den kommenden Jahren die Kapazitäten in der Bauwirtschaft ausreichen werden, um diese Aufgaben zu bewältigen.
Hintergrund: Die Bauunternehmen haben seit Beginn des Bauaufschwungs ihre Personalkapazitäten deutlich aufgestockt:Die Zahl der Beschäftigten im deutschen Bauhauptgewerbe lag 2021 mit hochgerechneten 911.0001 um 207.000 über dem Tiefpunkt von 2009. Unter Berücksichtigung der Abgänge in die Rente von schätzungsweise 260.0002 Personen haben die Baubetriebe damit ungefähr 460.000 Personen eingestellt. Hierfür haben sie nicht nur die Anzahl der Auszubildenden erhöht und auf das bis dato noch vorhandene freie Arbeitskräftepotential (Arbeitslose) zurückgegriffen, sondern auch – und insbesondere - Personen aus dem europäischen Ausland eingestellt. So ist der Anteil der Beschäftigten mit ausländischem Pass an den Baubelegschaften von 2009 bis 2021 von 8 auf 22 % gestiegen.
Zukunft: Unter der Annahme, dass die reale Produktion im deutschen Bauhauptgewerbe von 2022 bis 2030 (unter normalen Bedingungen und somit ohne die o.g. zusätzlichen Herausforderungen) um jährlich nur minimal steigen wird (2022/2023 Rückgänge, ab 2024 leichter Anstieg) und unter der Annahme, dass sich der Produktivitätsfortschritt in der Branche3 im gleichen Zeitraum so entwickeln wird wie in den vergangenen 15 Jahren, müssten die Unternehmen des Bauhauptgewerbes ihren Personalbestand um 65.000 Personen auf dann knapp 980.000 erhöhen. Unter der weiteren Annahme, dass im gleichen Zeitraum ca. 195.0004 Personen in Rente gehen werden, müssten die Unternehmen somit innerhalb von neun Jahren 260.000 Personen einstellen. Das sind mit knapp 29.000 p. a. zwar 9.000 weniger als im Zeitraum 2009 bis 2021, trotzdem stellt dies die Branche im Hinblick auf den demografischen Wandel und der damit einhergehenden zunehmenden Konkurrenz mit anderen Wirtschaftszweigen um qualifizierte Beschäftigte vor große Herausforderungen.
Schließlich stehen den Bauunternehmen rein rechnerisch nur noch knapp 42.000 Arbeitslose5 mit bauhauptgewerblichen Berufen zur Verfügung. Davon ist aber ein großer Teil nicht mehr vermittelbar oder präferiert eine Anstellung in anderen Wirtschaftszweigen. Unter der Annahme, dass aus dem Bestand der o.g. Arbeitslosen p.a. 5 % wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden und davon 70 % in das Bauhauptgewerbe, ständen den Bauunternehmen bis 2030 lediglich 11.000 zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung.
Auch über die Ausbildung ist die Lücke nicht zu schließen: Unter der Annahme, dass es den Bauunternehmen gelingt, im gleichen Zeitraum die Anzahl der neuen Auszubildenen auf dem Niveau von Ende 2021 mit 14.800 zu halten, ständen den Unternehmen von 2022 bis 2030 lediglich 73.000 neue Fachkräfte zur Verfügung (Anmerkung: Von den rein rechnerischen 133.000 wandern laut einer Studie der Soka-Bau nach der Ausbildung ca. 45 % in andere Branchen ab). Auch die Bauingenieurabsolventen werden die Lücke nicht schließen können: Von den schätzungsweise 78.000 neuen Absolventen werden ca. 68.000 in Bauunternehmen tätig sein, der Rest in der Öffentlichen Verwaltung6.
Letztendlich müssten die Unternehmen des Bauhauptgewerbes eine Personalkapazitäts-Lücke von ca. 108.000 Personen über einen anderen Weg schließen; entweder über das Ausland oder über die Abwerbung aus anderen Branchen. Die Unternehmen des Bauhauptgewerbes haben es im Zeitraum 2009 bis 2021 geschafft, 133.000 Personen mit ausländischem Pass einzustellen, das sind 11.000 p.a.. Nur wenn es gelingt, dies beizubehalten, kann die Lücke fast geschlossen werden. Hierfür braucht es aber eine entsprechende Einwanderungspolitik der Bundesregierung. Allerdings sind vom demografischen Wandel alle europäischen Länder betroffen, es wird somit immer schwieriger, den Arbeitskräftebedarf über diesen Weg zu decken. Hinzu kommt, dass das eigentliche Kapazitätsproblem im Ausbaugewerbe (Handwerk) liegt. Kleinere Unternehmen haben es deutlich schwerer, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, als größere.
Problem: Die getroffenen Annahmen einer Erhöhung der Produktion und der Zahl der Beschäftigten im Zeitraum 2022 bis 2030 von durchschnittlich unter 1 % beruhen auf der Annahme eines realen Umsatzrückgangs im laufenden und kommenden Jahr und einem leichten Anstieg ab 2024. Die Zielvorgabe von 400.000 Fertigstellungen von Wohnungen pro Jahr ist damit nicht zu erreichen. Schließlich ist der preisbereinigte Umsatz im Wohnungsbau im Zeitraum 2009 bis 2021 um 3,8 % p.a. gestiegen, die Anzahl der fertigstellten Wohnungen im gleichen Zeitraum um 5,2 % p.a. von 160.000 auf 293.000. Auch wenn sich die minimale Produktionserhöhung auf alle Bausparten bezieht, ist dies deutlich zu niedrig, da nicht davon auszugehen ist, dass die Produktion insbesondere im Öffentlichen Bau – angesichts der Nachfrage und des enormen Baubedarfs - einbrechen wird, womit die Arbeitskräftelücke deutlich höher ausfallen wird.
Schon jetzt geht das Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb) von einem Mehrbedarf im Jahr 2025 von 94.000 Beschäftigten im gesamten Baugewerbe7 aus, um die zusätzlichen Bauvorhaben allein durch den Bauüberhang von schon genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen von ca. 780.000 zu bewältigen. Hierbei sind die geplanten Klima-Investitionen in dem Bestand an Wohngebäuden noch gar nicht einbezogen. Dafür werden laut aktueller Berechnung des bibb noch einmal 100.000 Beschäftigte benötigt, insbesondere in Ausbauberufen.
Lösung: Da aber – wie oben ausgeführt - dem Personal-Kapazitätsaufbau Grenzen gesetzt sind, gibt es nur eine Lösung: Eine Erhöhung der Produktivität.
Allerdings ist nicht gesagt, dass durch eine zunehmende Digitalisierung im benötigten Maß Arbeitskräfte eingespart werden können. Durch Innovationen werden in bestimmten Bereichen neue Arbeitsplätze entstehen, insbesondere dort, wo es um neue Produkte und Dienste geht. Dem steht der Wegfall von Arbeitsplätzen in manchen traditionellen Bereichen gegenüber. Technische Innovationen führen somit zu einem strukturellen Wandel am (Bau-)Arbeitsmarkt.
Siehe auch:
Brancheninfo Bau: „Fachkräftesituation im Bauhauptgewerbe“
Brancheninfo Bau: „Produktivität im Bau(haupt)gewerbe“