Die Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen befindet sich in Deutschland bereits seit mehreren Jahren im Umbruch. Die am Bau Beteiligten (Bauherr, Planer und Bauausführende) befinden sich mehr denn je in einem Spannungsfeld zwischen bauordnungsrechtlichen und bauaufsichtlichen Vorgaben einerseits und Produktherstellern andererseits.
Bei der Planung, Ausschreibung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen wird insbesondere die regelkonforme Nachweisführung der Verwendbarkeit von CE-gekennzeichneten Bauprodukten vielfach zu einem Problem. Die am Bau Beteiligten nehmen die benötigten Informationen, die seitens der Produkthersteller zu diesem Themenfeld gegeben werden, als unterschiedlich, teilweise unvollständig und in einigen Fällen auch widersprüchlich wahr. Dies trägt zu einer weiteren Verunsicherung der am Bau Beteiligten bei.
Es ist erforderlich, die Situation zu ordnen und vorhandene Unsicherheiten zu reduzieren. Zur gegenwärtigen Situation ist festzustellen:
- Harmonisierte europäische Produktnormen sind veraltet: Die im Jahr 2009 in Kraft getretene harmonisierte europäische Produktnormung (hEN) für Instandsetzungsprodukte mit Leistungserklärungen nach Normen der Reihe DIN EN 1504 basiert auf der mittlerweile ersetzten Bauproduktenrichtlinie. Die harmonisierte europäische Produktnormung für Instandsetzungsprodukte nach der Reihe DIN EN 1504 erfüllt nicht die Anforderungen der im Juli 2013 in Kraft getretenen europäischen Bauproduktenverordnung.
- Harmonisierte europäische Produktnormen sind defizitär: Die harmonisierten Produktnormen der Reihe DIN EN 1504 enthalten derzeit nicht alle wesentlichen Leistungsmerkmale, die für die Erfüllung der Grundanforderungen an Bauwerke in Deutschland erforderlich sind. Insbesondere fehlen auch harmonisierte Verfahren und Kriterien für die Bewertung der Produktleistung. Bauprodukte mit Leistungserklärung auf Grundlage von harmonisierten europäischen Bauproduktnormen werden mit einer entsprechenden CE-Kennzeichnung versehen. Die CE-Kennzeichnung bestätigt allerdings nicht die Erfüllung der Grundanforderungen an bauliche Anlagen bei der Verwendung des Produkts. Ein für die Baupraxis erforderlicher Nachweis der Verwendbarkeit fehlt daher häufig.
- Die Bauwerkssicherheit ist gefährdet: Die Lücken in harmonisierten europäischen Bauproduktnormen gefährden die Bauwerkssicherheit und müssen bis zum Vorliegen geeigneter europäischer Regelungen temporär durch nationale Regelungen geschlossen werden.
- Die Defizite sind bekannt: Die von der Bauministerkonferenz initiierte und vom DIBt veröffentlichte Prioritätenliste benennt konkret solche Produktleistungen, die nicht auf Basis der harmonisierten europäischen Normen erklärt werden können. Gerade diese sind aber für die Erfüllung der deutschen Bauwerksanforderungen erforderlich (Lückenschluss).
- Die am Bau Beteiligten tragen allein die Verantwortung für die Konsequenzen der defizitären Normung: Sollen CE-gekennzeichnete Bauprodukte eingebaut werden, muss der Nachweis der Verwendbarkeit durch die am Bau Beteiligten erbracht werden (und nicht durch die Produkthersteller), und zwar dahingehend, dass die Anforderungen an bauliche Anlagen eingehalten werden. Wichtige Grundlagen für die projektspezifische Festlegung der erforderlichen und nachzuweisenden Produktleistungen liefert die neue Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt, die Anfang 2021 in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt wurde.
- Lücken zwischen Anforderungen und Nachweismöglichkeiten: Die Anforderungen an die Instandsetzung baulicher Anlagen in Betonbauweise sind unter den derzeitigen Umständen kaum umsetzbar: Der Sachkundige Planer definiert die Produktanforderungen nach den Anforderungen von Bauherr, Bauwerk und gültigem Regelwerk, kann aber mit den derzeit verfügbaren CE-Kennzeichnungen und Nachweisen der erforderlichen Produktleistung keine geeigneten Produkte identifizieren.
- Empfehlungen zum Lückenschluss: Der Lückenschluss infolge der defizitären Produktnormung kann derzeit vielfach nur mühsam mittels Einzelklärungen erfolgen. Daher wird dem Bauausführenden/Auftragnehmer empfohlen, im Zuge der Auftragserteilung rechtzeitig mit der Auftraggeberseite und ggf. mit der Bauaufsicht in einen verbindlichen Austausch zu treten. Es muss obligatorisch geklärt werden, welche Nachweise der erforderlichen Produktleistung erwartet werden und in welcher Form sie realisierbar sind. Die Erfahrung zeigt, dass weder der Bauherr/Auftraggeber noch der Planer oder der Bauausführende sich darauf verlassen können, dass sie von Produktherstellern alle erforderlichen Nachweisdokumente geliefert bekommen oder dass diese überhaupt verfügbar sind. Der Bauausführende sollte daher rechtzeitig, d. h. vor Auftragserteilung bzw. spätestens vor Baubeginn, entsprechende Vereinbarungen mit dem Produkthersteller bzw. dem Lieferanten treffen.
Ausblick:
Eine praxistaugliche Regelwerkssituation in der Betoninstandsetzung ist unerlässlich. Das bedingt einerseits harmonisierte europäische Produktnormen, die sämtliche für die Erfüllung des deutschen Sicherheitsniveaus erforderlichen Merkmale und Leistungen enthalten, sowie andererseits praxisgerechte Richtlinien und Regeln für die Planung und Bauausführung. Zum Erreichen dieser Ziele arbeiten Vertreter der BAUINDUSTRIE auf europäischer und auf nationaler Ebene in den zuständigen Gremien für Normen und Richtlinien mit. Um die praktische Umsetzung der gegenwärtigen Regelwerkssituation kurzfristig zu erleichtern, befürwortet die BAUINDUSTRIE ausdrücklich die Beauftragung und Zugänglichmachung von DIBt-Gutachten durch Hersteller von Instandsetzungsprodukten, weil mit diesen Gutachten der Nachweis der Erfüllung der Bauwerksanforderungen bei Verwendung CE-gekennzeichneter Instandsetzungsprodukte erbracht werden kann.