Die zunehmende Mobilität der Gesellschaft, das Wirtschaftswachstum sowie die zentrale Lage als Verkehrsdrehscheibe in Europa haben im wiedervereinigten Deutschland zu einem starken Wachstum der Verkehrsleistung geführt. Zwischen 1991 und 2017 legte die inländische Güterverkehrsleistung um 68 % zu, die Personenverkehrsleistung um 37 %. In der aktuellen Prognose des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, die auch die Basis für die Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans 2015 bis 2030 gebildet hat, werden auch für die kommenden Jahre noch deutliche Zuwächse prognostiziert. Bis 2030 soll gegenüber 2017 der Güterverkehr nochmals um 30 % zulegen, der Personenverkehr um 7 %.
Dieses erheblich gestiegene Verkehrsaufkommen hat - zusammen mit den in der Vergangenheit nicht ausreichenden Investitionen - zu einer deutlichen Qualitätsverschlechterung der Bundesverkehrswege geführt. Auch die Konzentration der Investitionen auf den Neubau hat ihren Teil dazu beigetragen.
Ein Sechstel der Fahrbahnflächen der Bundesautobahnen und ein Drittel der Fläche der Bundesstraßen haben mittlerweile nur noch eine eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit.
Ein Viertel der deutschen Eisenbahnbrücken weisen umfangreiche Schäden auf. Weitere 5 % müssen in den kommenden Jahren abgerissen werden, da ihre Reparatur im Vergleich zu einem Neubau zu teuer ist.
Im Netz der Bundeswasserstraßen gibt es defekte Schleusen bzw. nicht ausreichende Schleusenkapazitäten am Nord-Ostsee-Kanal, an Mosel, Main und Neckar. Viele Brücken über dem Kanalnetz lassen dem stark zunehmenden Containerverkehr nicht mehr genügend Raum.
Zu den Auswirkungen der Qualitätsprobleme bei der Infrastruktur, nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länder- bzw. kommunaler Ebene, befragte das Institut der Deutschen Wirtschaft im Frühjahr 2018 bundesweit etwa 2.600 Unternehmen. 68 % davon gaben an, in ihren Geschäftsabläufen durch Infrastrukturprobleme beeinträchtigt zu sein. Bezogen auf den Straßenverkehr waren es sogar nahezu drei Viertel der Firmen. Sperrungen von Autobahnbrücken über den Rhein für den Schwerlastverkehr sind dabei nur die Spitze des Eisberges.
Das World Economic Forum publiziert jährlich ein Ranking der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, in der auch die Qualität der Infrastruktur benotet wird. In dieser „Rangliste“ belegte Deutschland 2007 noch den zweiten Platz, 2017 lag man weltweit allerdings nur noch auf Platz 12. Gleichzeitig war in diesem Zeitraum bei allen Verkehrsträgern in Deutschland eine erhebliche Verschlechterung der Zustandsnote zu verzeichnen.
Von 1994 (formale Privatisierung der Bundesbahn) bis 2013 sind die Investitionen des Bundes in die Bundesfern- und Bundeswasserstraßen sowie die Investitionszuschüsse an die Deutsche Bahn AG um 19 % auf 10,5 Mrd. Euro gestiegen. Im gleichen Zeitraum legten allerdings die Preise für Tiefbauleistungen um 28 % zu, real betrachtet gingen die Investitionen des Bundes also zurück. An Stelle eines stetig steigenden Investitionsniveaus versuchte die Politik, mit diversen Investitionsprogrammen die Infrastrukturprobleme in den Griff zu bekommen.
Der heutige Investitionsstau ist ein Beleg für den Misserfolg dieser Vorgehensweise. Die Politik der kurzfristigen Bauprogramme hat sich in der Vergangenheit also nicht bewährt. Das nach politischer Opportunität schwankende Investitionsniveau führte auf der Seite der öffentlichen Auftraggeber zu Fehlanreizen (Abbau von planendem Personal) und auf der Seite der Auftragnehmer zu Problemen bei der Kapazitätsanpassung und damit zu wirtschaftlicher Instabilität. Es ist daher notwendig, die Investitionsmittel langfristig ganz dem jährlichen Verteilungsstreit der Haushaltspolitiker um knappe Haushaltsmittel zu entziehen.
Unsere stete Kritik am Zustand der Infrastruktur und an der Investitionszurückhaltung der öffentlichen Hand hat inzwischen Früchte getragen. Die Bundesregierung hat seit der Bundestagswahl 2013 auf den Substanzverlust der öffentlichen Infrastruktur reagiert. Die Investitionswende ist zumindest im Bereich der Bundesverkehrswege eingeleitet. Erstes Element ist der „Investitionshochlauf“. Die „Investitionslinie Verkehr“ wurde in der abgelaufenen Legislaturperiode von 2013 bis 2017 von 10,5 auf 13,2 Mrd. Euro aufgestockt. Bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums 2022 sollen noch einmal 2 Mrd. Euro hinzukommen.
Für einen langfristigen Erfolg gilt es, das hohe Investitionsniveau zu verstetigen. Deshalb setzt sich die deutsche Bauindustrie seit Jahren für die Umstellung von der Haushalts- auf die Nutzerfinanzierung ein. Denn durch die Zweckbindung der Straßenbenutzungsgebühren für den Verkehrsträger Straße ist die Bundesfernstraßenfinanzierung unabhängig von den politischen Diskussionen über das Steueraufkommen und die Verteilung der Haushaltsmittel. Dies war erfolgreich. So hat der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung geschaffen und den Mautfahrplan des BMVI konsequent umgesetzt.
2017 wurden bereits 50 Prozent der Fernstraßeninvestitionen über die Lkw-Maut finanziert. Durch die Umsetzung des Mautfahrplans fließen zusätzliche Mauteinnahmen in den Verkehrshaushalt. Die Umstellung der Bundesfernstraßenfinanzierung von der Haushalts- auf die Nutzerfinanzierung ist auf einem guten Weg. Die Investitionen können somit langfristig auf einem hohen Niveau verstetigt werden.
Im Bereich der Kommunen sind wir von einem „Investitionshochlauf“ allerdings noch weit entfernt. Nach wie vor fehlt es einem großen Teil der Kommunen an Finanzkraft. Das Deutsche Institut für Urbanistik führt jährlich im Auftrag der KfW eine Befragung unter den Kommunen durch. Dabei wird auch der Investitionsrückstand nach Aufgabenbereichen ermittelt.
Dabei weist die Straßen- und Verkehrsinfrastruktur (neben den Schulen) regelmäßig den höchsten Investitionsrückstand auf. Im Kommunalpanel 2018 wird für das Jahr 2017 in diesem Bereich ein Wert von 39 Mrd. Euro ermittelt. Besonders problematisch ist: 45 % der Kommunen gehen davon aus, dass der Investitionsstau im Verkehrsbereich in den nächsten fünf Jahren noch zunehmen wird, lediglich 17 % erwarten, dass sie diesen abbauen können.
Für einen Teil der Kommunen wird sich die ohnehin schon prekäre Situation noch verschärfen, wenn nicht bald Klarheit darüber geschaffen wird, wieviel Bundes- und Landesmittel über die nächsten Jahre zur Verfügung stehen, um den Investitionsstau aufzulösen und die Modernisierung der kommunalen Verkehrswege voranzutreiben.
Die deutsche Bauindustrie bedauert deshalb, dass es in den Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nur bedingt gelungen ist, den Bund bei der Finanzierung der kommunalen Verkehrswege „im Boot“ zu halten.
Mit der Bereitstellung zusätzlicher Investitionsmittel ist es aber sicherlich allein nicht getan. Es kommt jetzt im nächsten Schritt darauf an, diese Investitionsmittel auch tatsächlich in Projekte umzusetzen. Daran haben wir jedoch mit Blick auf die Verfassung vieler Bauverwaltungen derzeit noch unsere Zweifel, da durch den Personalengpass ein Mangel an baureifen Projekten entstanden ist. Wir sollten deshalb alle Möglichkeiten nutzen, um die drohenden Engpässe im Planungsbereich zu beseitigen; für uns heißt das:
Darüber hinaus müssen wir aber auch dafür sorgen, dass Bauprojekte künftig termintreuer und kostensicherer umgesetzt werden. Dies gelingt nur über mehr Partnerschaft in der Zusammenarbeit zwischen Bauherren, Planern und Bauwirtschaft. Dazu gehören:
Zur effizienten Projektrealisierung setzt die deutsche Bauindustrie auf eine Vielzahl von Beschaffungsvarianten. Denn nur durch diese Modellvielfalt können wir den unterschiedlichen baulichen Herausforderungen gerecht werden.
Ein wesentlicher Bestandteil sind dabei Partnerschaftsmodelle, die wir in der Broschüre „Bauen statt streiten“ mit Best-Practice-Beispielen dargestellt haben.