Kabelriss: Qualitätselement und Versicherungschäden

In letzter Zeit häufen sich bei Leitungsbauunternehmen die Forderungen nach Begleichung von sogenannten „Qualitätselement-Schäden“.

In letzter Zeit häufen sich bei Leitungsbauunternehmen die Forderungen nach Begleichung von sogenannten „Qualitätselement-Schäden“, die durch Versorgungsunterbrechungen, z. B. durch Kabelriss, enstehen. In der Folge möchten wir Ihnen die dieser Entwicklung zu Grunde liegenden Sachverhalte ein wenig näher bringen.

Grundsätzlich gilt: Kommt es z. B. bei Tiefbauarbeiten zur Beschädigung von Leitungsnetzen, haftet das Tiefbauunternehmen für schuldhaft verursachte Schäden nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese gesetzliche Haftung für unerlaubte Handlungen umfasst die Verletzung besonders geschützter Rechtsgüter, nämlich Persönlichkeitsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit), Eigentum und sonstige Rechte, wie etwa den Besitz, z. B. bei Netzbetreibern mit Pachtmodell.

Bei der Beschädigung von Elektrizitätsleitungen handelt es sich um Sachschäden am Eigentum der Netzbetreiber bzw. Netzeigentümer (Verpächter). Die Berechnung des Schadenersatzanspruchs, insbesondere der Kosten für die Reparatur von Leitungen, ist in der Praxis üblich.

Nach Inkrafttreten der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) wurden von den Regulierungsbehörden Qualitätsvorgaben für Netzbetreiber festgelegt, die die Betreiber anhalten sollen, einen langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betrieb von Energieversorgungsnetzen sicherzustellen. Der Anreiz wird dadurch gesetzt, dass die Netzbetreiber einerseits höhere Erlöse generieren können, wenn sie die Qualität hochhalten, und andererseits Gewinneinbußen hinnehmen müssen, wenn die Qualität nicht gehalten wird.

Daraus folgt, dass auf den Netzbetreiber, neben Kosten für die Instandsetzung und ggf. Neuverlegung von Leitungen, durch die Berücksichtigung von durch Dritte verursachte Versorgungsunterbrechungen zusätzliche Erlösminderungen zukommen und damit ein „Qualitätselement-Schaden“ (Q-Element-Schaden) entsteht.

Die Erlösminderung durch den „Qualitätselement-Schaden“ ist als sogenannter Sachfolgeschaden eine im Rahmen von § 823 BGB zu erstattende Schadensposition. Als Sachfolgeschaden oder auch „unechten“ Vermögensschaden bezeichnet man finanzielle Nachteile, die sich aus Sachschäden ergeben können. Beim Sachfolgeschaden entsteht der Vermögens-schaden erst aufgrund der Beschädigung einer Sache, hier der Leitung, als eine daraus resultierende Folge. Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat gem. § 249 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

BGH hat entschieden

In den letzten Jahren wurde die Ersatzfähigkeit dieser Erlösminderungen von den Gerichten zunächst unterschiedlich beurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 8. Mai 2018, Az.: VI ZR 295/17, für Klarheit gesorgt, aber aus Sicht der Tiefbauunternehmen eine negative Richtung eingeschlagen. Er bestätigt, dass ein Netzbetreiber basierend auf § 823 Abs. 1 BGB Ersatz des ihm entgehenden Gewinns verlangen kann, wenn eine durch Verschulden eines Dritten (z. B. Leitungsbauunternehmen) verursachte Versorgungsunterbrechung zu einer Verschlechterung seines Qualitätselements und in der Folge zu einer Herabsetzung seiner von der Bundesnetzagentur oder Landesregulierungsbehörde festgelegten Erlösobergrenze und damit zu einem "Qualitätselement-Schaden" führt.

Die Versorgungsunternehmen prüfen jetzt mehr und mehr bei Schadensfällen, auch bei Altschäden, die noch nicht verjährt sind, ob sie diesen Schaden gegenüber den Schädigern bzw. deren Versicherern geltend machen. Die regelmäßige Verjährung solcher Ansprüche nach § 823 BGB beträgt drei Jahre (§ 195 BGB).

Bei künftigen Schadensfällen ist zu erwarten, dass der entgangene Gewinn grundsätzlich in die Schadensregulierung aufgenommen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Netzbetreiber Eigentümer oder als Pächter Besitzer der beschädigten Energieversorgungsanlagen ist.

Den Netzbetreibern bleibt die Entscheidung über eine Verfolgung von durch Leitungsbauunternehmen verursachten Versorgungsunterbrechungen und dem daraus resultierenden Schadensersatzanspruch selbst überlassen. Die Weiterberechnung des Qualitätselement-Schadens kann aber nur dann erfolgen, wenn der Netzbetreiber durch die fremdverursachten Versorgungsunterbrechungen einen Nachteil erleidet. Somit können nur jene Netzbetreiber Forderungen geltend machen, bei denen die Qualitätselemente der ARegV angewendet werden, unabhängig davon, ob ein Bonus oder Malus festgelegt wurde. Da im vereinfachten Verfahren (kleinere Versorgungsunternehmen) der Anreizregulierung gemäß § 24 ARegV keine Qualitätselemente ermittelt werden, entsteht hier auch kein Qualitätselement-Schaden.

Versicherungsunternehmen einschalten

In der Praxis regulieren viele Tiefbauer Schäden bis z. B. 10.000 Euro selbst und zeigen den Schaden dem Versicherer nicht an. Das könnte zukünftig problematisch sein, wenn nach den Kosten für die Reparatur auch noch die Kosten für den entgangenen Gewinn geltend gemacht werden. Je nach Dauer und Umfang der Versorgungsunterbrechung kann dieser Schaden teurer werden als der Kabelriss selbst und durchaus fünf- bis sechsstellig sein.

Den Leitungsbauunternehmen ist schon vor Entstehung solcher Schäden zu empfehlen, mit ihrem jeweiligen Versicherer diese Dinge in Bezug auf die Regulierung und Deckung zu erörtern. In jedem Fall bietet es sich aber an, den Schadensfall umgehend seinem Versicherer zu melden und mit ihm gemeinsam Art und Höhe der Schäden zu prüfen.

 

Rechenbeispiel Qualitätselement-Schaden Niederspannung

Dauer der Versorgungsunterbrechung240 min
von der Versorgungsunterbrechung betroffene Letztverbraucher20
Insgesamt ausgefallene Letztverbraucherminuten (240 Minuten x 20 Letztverbraucher):4.800 LV-Min
Qualitätselement-Schaden NS (4.800 LV-Min x 0,21 €/min/LV/a):1.008,00 €

 

Nicht immer der Leitungsbauer

Versorgungsunterbrechungen aufgrund von Rückwirkungsstörungen, höherer Gewalt oder Zählerwechsel werden bei der Berechnung der Qualitätselemente nicht berücksichtigt. Sonstige geplante Versorgungsunterbrechungen fließen mit einer Gewichtung von 50 Prozent in die Kennzahlen ein. Auch bei geplanten Arbeiten, bei denen eine Versorgungsunterbrechung nicht vorgesehen war, die aber aufgrund des Zustands des Netzes zu einer solchen geführt haben, sollte die Versorgungsunterbrechung nicht dem Leitungsbauer angelastet werden. Hier sind rechtzeitig Bedenken beim Auftraggeber anzumelden.

Erkundungspflicht gilt – Auftraggeber muss sorgfältige Planauskünfte liefern

Da der BGH im Jahre 1971 schon festgelegt hat, dass jeder im Bereich von Versorgungs-leitungen tätige Tiefbauunternehmer verpflichtet ist, sich selbst durch Erkundigung bei den zuständigen Stellen den erforderlichen Grad von Gewissheit über den Verlauf von Erdleitungen zu verschaffen, wird man auch Q-Element-Schäden nur durch sorgfältige Erkundung vermeiden können.

Dies gilt nach Ansicht des BGH im Jahre 1995 auch für private Leitungen. Bestehen nach den örtlichen Gegebenheiten Anhaltspunkte für die Existenz privater Versorgungsleitungen in öffentlichem Grund, so muss sich ein Bauunternehmer vor der Durchführung von Baggerarbeiten sorgfältig nach dem Vorhandensein und dem Verlauf solcher Leitungen erkundigen.

In der o. g. Entscheidung vom 8. Mai 2018 hat der BGH deutlich gemacht, dass auch den Netzbetreiber Pflichten zur Vermeidung des Q-Schadens treffen. Der Netzbetreiber wird angehalten, das Verhalten Dritter (hier: die von ihm eingesetzten Tiefbauunternehmen), soweit es ihm möglich ist, zu beeinflussen, um die Versorgungsunterbrechung zu verhindern bzw. gering zu halten. Verstößt der Netzbetreiber gegen seine Mitwirkungspflicht, sollte geprüft werden, ob ein geltend gemachter Q-Element-Schaden dann nicht nach den Regeln des § 254 BGB aus dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens entfällt oder zumindest gemindert werden müsste.

Der BGH führt dazu aus:

„Ein Netzbetreiber kann Versorgungsunterbrechungen aufgrund des Verhaltens Dritter durchaus beeinflussen. Dies gilt sowohl in Bezug auf eine Vermeidung solcher Störungen etwa durch öffentliche Informationen, Schulungsmaßnahmen und sorgfältige Planauskünfte als auch auf die möglichst zeitnahe Beseitigung einer gleichwohl eingetretenen Versorgungsunterbrechung. (…) Die Feststellung der tatsächlichen Verursachung einer Versorgungsunterbrechung könnte im Einzelfall Schwierigkeiten aufwerfen, wenn etwa ein Leitungsschaden zwar unmittelbar auf einem Baggerschaden beruht, dieser aber durch ein unsorgfältige Planauskunft des Netzbetreibers mitverursacht worden oder dies nicht auszuschließen ist. (…)“

Zudem gibt es für Tiefbauunternehmen nicht immer und in jedem Fall eine Verpflichtung eine Leitungsauskunft einzuholen. Dies gilt aber nur, wenn überhaupt kein Hinweis vorliegt, dass eine Leitung vorhanden sein könnte. Im städtischen Raum wird dies kaum gelten und beispielsweise im ländlichen Raum, in Sichweite von Windenergieanlagen auch nicht. Bei fehlerhaften Bestandsplänen haften Versorgungsunternehmen in der Regel mit, aber den Bauunternehmer trifft es auch.

Die DGUV Information 203-017 „Schutzmaßnahmen bei Erdarbeiten in der Nähe erdverlegter Kabel und Rohrleitungen“ gibt eine Hilfestellung und nennt weitere, fachspezifische Regelwerke. Zum Beispiel die DIN 1998:2018-07 „Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Verkehrsflächen“, den DVGW-Hinweis GW 315 „Hinweise für Maßnahmen zum Schutz von Versorgungsanlagen bei Bauarbeiten“ oder das DWA-Arbeitsblatt A 125 „Rohrvortrieb“.

So oder so kommt es aber immer auf den Einzelfall an und es gibt nach wie vor etliche offene Fragen bei der Regulierung der „Qualitätselement-Schäden“.